Liebe Annalena,
lieber Robert,
liebe Lisa,
liebe Ricarda, lieber Omid,
liebe Katharina, liebe Britta,
in großer Sorge verfolgen wir die Debatten um eine Reform des europäischen Asylsystems und die Positionierung der Bundesregierung dazu. Eine Reform, die geeignet ist, das Grundrecht auf Asyl zu schützen, menschenunwürdige Bedingungen zu beenden und für eine faire Verteilung zu sorgen, war und ist unser gemeinsames Ziel.
Deshalb haben uns die Berichte über die Prioritäten der deutschen Bundesregierung erschüttert: Die Ausweitung sicherer Drittstaaten, schlechterer Rechtsschutz, verpflichtende Grenzverfahren in Haftlagern und eine massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems sind nur einige der Rechtsverschärfungen, die in der vorgeschlagenen Reform des Asylsystems angelegt sind. Mitgliedstaaten werden teilweise zur Inhaftierung von Schutzsuchenden verpflichtet und erhalten zusätzlich massive Möglichkeiten zu Asylrechtsverschärfungen auf nationaler Ebene.
Die nationalen Asylgesetze werden durch die Asylverfahrensverordnung weitgehend überschrieben, doch bislang gibt es keine professionelle Folgenabschätzung, was diese Änderungen in Deutschland und der EU bewirken würden. Abschottung und Abschreckung könnten hier der Preis für einen Solidaritätsmechanismus sein, der seinen Namen kaum verdient. Eine verbindliche Verteilung von Schutzsuchenden wird in diesem Mechanismus auch von Deutschland nicht mehr angestrebt, sodass in der praktischen Umsetzung des Reformvorschlags vor allem eine massive Beschneidung des Asylrechts übrig bleibt, die wohl vor allem das Ziel verfolgt, dass weniger Menschen nach Europa und Deutschland fliehen können. Dabei haben Verschärfungen des Asylrechts, Abschreckung und Abschottung doch in der Vergangenheit gezeigt, dass sie nicht zu weniger Geflüchteten, sondern nur zu mehr Leid führen. Auch wenn die Verhandlungssituation in Brüssel sicherlich schwierig ist und wir sicher sind, dass ihr für die Umsetzung des Koalitionsvertrags kämpft, so ist es doch schwer nachvollziehbar, warum die deutsche Verhandlungsposition nicht annähernd den Inhalten des Koalitionsvertrags entspricht.
Während in der öffentlichen Debatte die Kritik an Abschreckung und Abschottung oft als träumerisch oder naiv dargestellt wird, sind wir davon überzeugt, dass das Gegenteil richtig ist. Es wäre naiv und geschichtsvergessen, Minderheitenrechte in Krisenzeiten einzuschränken. Es wäre naiv, davon auszugehen, dass schlechtere Bedingungen zu weniger Asylanträgen oder Weiterwanderung nach Deutschland führen. Nur Antworten, die die Herausforderungen ernst nehmen, statt sie sich wegzuwünschen, werden dazu beitragen, dass sich die Stärke Europas entfalten und Migrationspolitik gut organisiert werden kann.
Diese Analyse teilen wir mit unzähligen Hilfsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaftler*innen.
Wie der Presse zu entnehmen ist, scheint eine Einigung auf das Gesamtpaket im Rat der Mitgliedsstaaten in weite Ferne zu rücken. Das Scheitern dieser Verhandlungen – das auch an einer Ablehnung deutscher Forderungen durch die Außengrenzstaaten zu liegen scheint, darf jedoch kein Anlass zur Kapitulation sein – im Gegenteil. Es ist Zeit, sich mit der Bundesregierung auf einen neuen Weg zu einigen und ihn auf europäischer Ebene voranzutreiben. Als größter Mitgliedstaat sollte Deutschland dafür eintreten, dass der Erpressungsversuch einiger Mitgliedstaaten auf ein Gesamtpaket scheitert. Statt mit einer Asylverfahrensverordnung eine Moria-Verordnung zu beschließen, die unabsehbare Verschlechterungen produziert, sollten die anderen Rechtsakte in den Blick genommen werden. Hier besteht die reale Chance, schrittweise zu einer Verbesserung der aktuellen Lage beizutragen.
Wir erwarten nicht, dass sich die schwierige Lage in der europäischen Asylpolitik von heute auf morgen ändert.
Aber wir erwarten, dass ihr gemeinsam mit viel Rückenwind aus der Partei, Zivilgesellschaft und der Wissenschaft dazu beitragt, dass Populismus nicht in Gesetzesform gegossen wird und wir die Hegemonie in der Debatte zurückgewinnen. Denn nur mit einem mutigen, realistischen, pragmatischen und menschenrechtsorientierten Blick werden wir die Migrationspolitik in Deutschland und Europa so gestalten können, dass sie funktioniert. Und nur wenn die Migrationspolitik rechtsstaatlich und human funktioniert, werden wir in der Lage sein, dem Populismus und autokratischen Erpressungsversuchen die Stirn zu bieten.
Wir bitten euch, neue Wege zu gehen und den Pfad zur Zustimmung der Asylverfahrensverordnung zu verlassen. Tretet für eine Reform ein, die die Situation verbessert und verhindert, dass der aktuelle Angriff auf das Asylrecht in Brüssel erfolgreich ist.
Mit solidarischen Grüßen
viele Mitglieder der Basis
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