Debattenbeitrag von Astrid Rothe-Beinlich und Madeleine Henfling, Fraktionsvorstand der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Thüringen
Wie weiter im Umgang mit COVID-19 auch und gerade in der Vorweihnachtszeit 2020?!
Deutschland- aber auch thüringenweit nehmen die Infektionen mit COVID-19 rasant zu. Das Gesundheitssystem kommt vielerorts mittlerweile an seine Grenzen. Der offenbar in naher Zukunft zur Verfügung stehende Impfstoff macht zwar Hoffnung, allerdings werden wir trotz- dem noch viele Monate mit der Pandemie beschäftigt sein. Gleichzeitig steigt auch in Deutschland die Anzahl der Todesfälle erschreckend schnell an. Die mit dem sog. „Wellen- brecher-Lockdown“ umgesetzten Maßnahmen haben offensichtlich (noch) nicht ausgereicht, um die zweite Welle zu brechen und die Infektionszahlen deutlich einzudämmen.
So bitter das ist, angesichts der aktuellen Entwicklungen kommen wir um eine sofortige Ver- schärfung der Maßnahmen auch in Thüringen nicht herum, wenn wir es ernst damit meinen, dem Gesundheitssystem spürbare Entlastung zu verschaffen, den rasanten Anstieg an To- desopfern reduzieren zu wollen und zu einer stabilen Kontrolle des Infektionsgeschehens zurückzukehren.
Einige Länder haben die Maßnahmen schon verstärkt. Wir begrüßen das grundsätzlich, möchten aber gleichzeitig darauf hinweisen, dass es für die Akzeptanz der Maßnahmen wichtig ist, dass die Beschlüsse der MPK auch einen Ausblick über den Jahreswechsel hin- aus bieten müssen, nachvollziehbar und möglichst einheitlich sein sollten.
Die Menschen brauchen, auch bei einem dynamischen Infektionsgeschehen, in einer für alle so unsicheren Situation eine gewisse Planbarkeit und Verlässlichkeit, die sich nicht nur auf die Weihnachts- und Silvesterfeiertage beschränken darf. Jetzt wird dringend eine länger- fristige Perspektive benötigt.
Mit Blick auf die Infektionszahlen sind über Weihnachten und den Jahreswechsel stärkere Beschränkungen geboten. Das bisher schon bestehende Gebot, sich nur in zwei Haushalten mit max. 5 Personen über 14 Jahren zu treffen, sollte weiterhin bestehen. Eine Kontrolle innerhalb der privaten Räume lehnen wir allerdings grundsätzlich ab, sie ist aber auch durch die aktuelle Regelung in „Gebotsform“ nicht durchzusetzen.
Mit Blick auf das Weihnachtsfest bedeutet das auch, dass sich die Kirchen und Religionsge- meinschaften alternative Konzepte für die Gottesdienste überlegen müssen, die der Bedeu- tung des Festes gerecht werden, ohne zu „Superspreader“-Veranstaltungen zu werden.
Darüber hinaus sollten ab sofort auch alle Geschäfte und Einrichtungen schließen, die nicht für den Bedarf des täglichen Lebens benötigt werden (Ausnahmen: Lebensmitteleinzelhan- del, Drogerien, Apotheken, Optikerinnen). Für die Betriebe und Unternehmen, in denen ein Arbeiten von zu Hause aus möglich ist, sollte Homeoffice dringend angeraten werden. Für die damit wirtschaftlich stark betroffenen Einzelhändlerinnen und auch für alle anderen von den Einschränkungen finanziell Betroffenen, ist es zwingend notwendig, dass die wirtschaft- lichen Hilfen zeitgleich mit den jeweiligen Pandemie-Maßnahmen ankommen.
Für uns Bündnisgrünen ist es weiterhin zentral, dass Schulen und Kindergärten mit ihren so wichtigen Bildungs- und Betreuungsangeboten gerade für die Jüngsten solange wie möglich offenbleiben. Solange nicht alle anderen nicht zwingend benötigten Bereiche heruntergefah- ren wurden, sollten wir nicht über Schließungen nachdenken. Einerseits geht es uns dabei um das Recht auf Bildung, anderseits aber auch um den Schutz von Kindern und Jugendli- chen. Wir dürfen auch nicht die entlastende Funktion der Bildungseinrichtungen für Familien vergessen. Während die Klassen ab Stufe 7 aktuell im Wechsel- oder Distanzunterricht funk- tionieren, ist das gerade in den unteren Klassen kaum möglich. Kinder und Jugendliche sind schon jetzt massiv von der Pandemie betroffen und dürfen nicht erneut zu den Verlierer*in- nen dieser Pandemie werden.
Sollten perspektivisch aufgrund zu hoher Inzidenzen Schließungen unumgänglich werden, ist es unerlässlich, dass eine Notbetreuung nicht nur für Kinder sog. systemrelevanter Eltern sichergestellt wird, sondern auch für besonders schutzbedürftige Kinder. Welche Berufs- gruppen systemrelevant sind, muss landesweit einheitlich geregelt werden. Eltern, die sich in dieser Zeit zuhause um die Betreuung und Beschulung der Kinder kümmern, können nicht zeitgleich Home-Office machen. Daher benötigt es hier bei Einkommenseinbußen einen fi- nanziellen Ausgleich, beispielsweise durch ein Corona-Elterngeld.
Grundsätzlich muss uns bei allen Maßnahmen klar sein, dass Kinder (auch über 12 Jahre) keine kleinen Erwachsenen sind. Das Kindeswohl muss bei allen Entscheidungen stärker beachtet werden. Kinder brauchen ein Mindestmaß an sozialen Kontakten, auch zu Gleich- altrigen, ebenso wie Bewegung und frische Luft.
Darüber hinaus benötigt es kindgerechte Quarantäne-Leitlinien, vorzugsweise erarbeitet vom RKI im Austausch mit den Gesundheitsämtern vor Ort. Dabei muss die Lebenswirklich- keit von Kindern und Familien berücksichtigt werden. Außerdem müssen die Regeln für alle Familienformen, auch Alleinerziehende und Patchworkfamilien, passen.
Innerdeutsche Reisebeschränkungen und die Idee von Ausgangssperren für bestimmte Ta- geszeiten unterstützen wir nicht. Aus unserer Sicht greift dies zu stark in die Bewegungsfrei- heit der Menschen ein, dämmt nicht die Ansteckungsgefahr ein und ist auch rechtlich höchst umstritten. Menschen muss erlaubt bleiben, sich mit Abstand und in überschaubarer Perso- nenzahl an der frischen Luft zu bewegen. Dies ist auch für die allgemeine physische und mentale Gesundheit zwingend notwendig. Denn es geht nicht darum, die Menschen in ihre vier Wände zu zwingen, sondern dafür zu sorgen, dass sie möglichst keinen physischen Kontakt außerhalb ihres Haushaltes haben.
Abschließend benötigen wir klare Regeln für die besonders schutzbedürftigen Bevölkerungs- gruppen. Soziale Kontakte müssen auch im Quarantänefall möglich sein. Dafür sind ausrei- chend Testkapazitäten und Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen müssen selbstverständlich besonders geschützt werden, aber sie dürfen auch nicht vereinsamen. Schließlich muss es Menschen am Lebensende sowie deren Angehörigen freistehen, in Würde und Nähe voneinander Abschied nehmen zu können.
Die Corona-Pandemie wird uns alle noch einige Zeit beschäftigen und wir werden nur ge- meinsam und solidarisch durch diese Krise kommen, das sollten wir bei allen weiteren Maß- nahmen nicht aus dem Blick verlieren. Also halten wir Abstand und geben wir aufeinander Acht.
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