Integrieren statt separieren – Ist Thüringen nicht schon weiter?

Impuls zur Veranstaltung der LAG Säkularisierung von Astrid Rothe-Beinlich

„Integrieren statt separieren“ lautet der Titel der Veranstaltung und unterstellt dem Religionsunterricht damit implizit, dass es dessen Ziel sei, separat wie im stillen Kämmerlein Glaubensinhalte zu indoktrinieren.

Dies will allerdings seit vielen Jahren niemand (mehr).

In besonderer Weise wird das anhand des sog. „Hamburger Modells“ deutlich, was einen „Religionsunterricht für alle“ in evangelischer Verantwortung anbietet, bei dem Potentiale zu Dialog und Verständigung herausgearbeitet werden.

Aber auch in Thüringen sind wir längst weiter.

Am Religionsunterricht nehmen heute viele Kinder und Jugendliche teil, die gar nicht konfessionell gebunden sind. In der evangelischen Schule in Jena gibt es übrigens schon lange ein Kooperationsmodell zwischen katholischen und evangelischen Lehrkräften: Sie unterrichten gemeinsam.
Ein Mehr an Gemeinsamkeit ohne Aufgabe der eigenen Identität ist ein häufig geäußerter Wunsch und auch das Gebot der Stunde.

Warum soll man dies nicht auch auf Schülerinnen und Schüler anderer Religionsgemeinschaften ausdehnen? Perspektivisch könnte auch eine Form von islamischem Unterricht einbezogen werden.

Dies bedeutet für alle Schülerinnen und Schüler:
– Wissen um die kulturelle und religiöse Identität in der westlichen Zivilgesellschaft
– Einübung interkultureller und interreligiöser Kompetenz
– Dialogfähigkeit mit anderen Konfessionen/Religionen
– Wahrnehmung von Differenzen und den Umgang damit
– Achtung gegenüber Andersgläubigen

Diesen Ansatz wollen wir in Thüringen inklusiv denken. Auch hier hinkt der Titel der Veranstaltung weit hinter der Zeit hinterher.

Nur „Integrieren“ ist doch in der Schule überhaupt nicht das Ziel, welches wir Grünen anstreben. Die Inklusion, die wir auf allen Ebenen des Lebens auch als Rechtsanspruch verstehen, betrachtet Vielfalt und Heterogenität der Gesellschaft als grundlegend und selbstverständlich und verlangt eben gerade nicht, wie bei der Integration, die Anpassung von Einzelnen an das Mehrheitssystem.

Der Grüne Bildungsansatz möchte die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so flexibel gestalten, dass sie jedem einzelnen Menschen Teilhabe ermöglichen. Das gilt auch und gerade für die Beschäftigung mit Religion.

Sowohl die Thüringer Lehrpläne für konfessionellen Religionsunterricht, als auch der Lehrplan für Ethikunterricht zielen gleichermaßen auf
– die Entwicklung von Lernkompetenzen
– und den Erwerb fachspezifischer und gesellschaftswissenschaftlicher Kompetenzen
ab.
Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass der konfessionelle Religionsunterricht von der eigenen religiösen Dimension des Lebens ausgeht und von einer Lehrkraft mit klarem Standpunkt erteilt wird – vergleichbar etwa den Musik Unterrichtenden, bei denen natürlich musikalisches Gespür und entsprechende Bildung vorausgesetzt werden.

Die Lehrkraft steht für die Religion, deren Unterricht sie erteilt. Das hat in einer aufgeklärten, kritisch-reflexiven Weise zu geschehen. Die Lehrkraft regt zur Auseinandersetzung mit dem Glauben an. Damit ist der Unterricht ein Angebot an die Schülerinnen und Schüler, die Religion entweder für sich anzunehmen oder sich abzuwenden.

Der Ethikunterricht betrachtet die Religionen nur von „außen“, lädt aber nicht zwingend zur inneren Auseinandersetzung ein.

Die Thüringer Verfassung garantiert ebenso wie das Grundgesetz den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Auch daran wird deutlich, dass Religion ihren Platz im öffentlichen Raum hat und nicht an den Rand gedrängt oder zur exklusiven Privatangelegenheit werden soll.

Auch der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag spricht sich für ein friedliches und vertrauensvolles Miteinander zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauung sowie für religiöse Bildung aus.

Hierbei muss klar sein, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Glaubenssätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erteilt wird und nicht eine demokratische Mehrheit über religiöse Minderheiten bestimmen darf.

Zugleich erklärt sich der neutrale Staat für nichtzuständig in originär religiösen Dingen.

Es gibt eben keine Staatskirche oder Staatsreligion und auch keine antireligiöse Staatsweltanschauung.

1989 sahen viele Menschen in der ehemaligen DDR nach 40 Jahren marxistisch-leninistischer Atheismusdoktrin die Chance für ein freiheitlich-demokratisches Bildungswesen – auch durch die Einführung des Religionsunterrichts mit Beteiligung der Kirchen – für gekommen.
Der Staat sollte eben gerade nicht mehr über Glaubensinhalte bzw. Weltanschauung der Menschen bestimmen, und Religion erhielt ihren selbstverständlichen Platz in der Mitte der Gesellschaft.

Der Erhalt eigenständiger Unterrichtsfächer und die Pflege eines gleichberechtigten, authentischen interreligiösen Dialogs gilt es aufrechtzuerhalten. Gemeinsam interessierende Themen sollen zusammen behandelt werden und Moscheen und Kirchen, nicht zuletzt auch Synagogen (nicht nur Moscheen) gern gemeinsam besucht werden.

Es geht darum, die religiösen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen und sie als Gesprächspartnerinnen und- partner zu akzeptieren.

Auf die Bildungsagenda gehört daher nicht nur die diffuse Kenntnis verschiedener Religionen, sondern vielmehr die kulturelle und religiöse Selbstvergewisserung.

Ohne diese Selbstvergewisserung muss die Selbstbehauptung in der Begegnung und im Dialog der Kulturen scheitern. Dies führt in der Folge zur Verdrängung von Religion an den Rand und begünstigt die Bildung von Parallelgesellschaften. Und genau das ist nicht in unser aller Sinne.

Für Rückfragen und/oder Anmerkungen: astrid@rothe-beinlich.de

veröffentlicht am 13.06.2018

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