Für den Sonntagmorgen (2.9.18 ab 7 Uhr) hatten die rechte Facebookgruppe „Erfurt zeigt Gesicht – gegen die Islamisierung unserer Heimat“ und ENiE (Eigenständige Nationen in Europa) eine „Versammlung unter freiem Himmel“ im Erfurter Ortsteil Marbach angemeldet, um einmal mehr gegen den gemäß Grundgesetz und nach Baurecht genehmigten Bau einer kleinen Moschee zu protestieren. Als Kundgebungsmittel wurden Nikab, Masken, Transparente, ein großes Holzkreuz und eine Lautsprecheranlage angegeben.
Dem Aufruf gefolgt waren zwischen 25 und 30 Personen, die sich zunächst nahe dem künftigen Bauplatz für die kleine Moschee trafen, dort martialisch verkleideten (von wegen „Gesicht zeigen“) und dann lautstark durch Marbach zogen. Unterwegs spielten sie vom Band Muezzinrufe ab, beschimpften die Marbacher*innen, forderten sie auf, mitzugehen, sie
(die Maskierten) würden schließlich für Marbach den Widerstand organisieren.
Gegen 8 Uhr kam die Demonstration in der Luisenstraße an und hielt direkt vor unserem Haus eine Zwischenkundgebung ab, in der ich immer wieder auch direkt angesprochen wurde. Die Kundgebung endete mit den von mir durchaus als Drohung verstandenen Worten der Rednerin: Ich solle mich schämen. Das sei erst der Anfang und sie kämen wieder.
Die Teilnehmenden an der Demonstration waren außer Eric Graziani und einem Teilnehmer in orangefarbener Warnweste nicht zu erkennen, auch die Rednerin war maskiert. Die gesamte Situation stellte sich für uns (auch für unsere Nachbarn) als durchaus bedrohlich dar.
Die Demonstration ging dann weiter und es wurden weitere Zwischenkundgebungen abgehalten. Vor dem Bäcker wurden die dort ein- und ausgehenden Menschen erneut verbal attackiert und eingeschüchtert. Danke hier nochmals an alle, die sich lautstark gegen den Aufmarsch zur Wehr setzten und deutlich sagten, was sie davon hielten.
Die gesamte Demonstration wurde von Eric Graziani von ENiE gefilmt (wie auch schon zuvor Kundgebungen in Chemnitz, Heidenau, Berlin…) und live online gestellt, so auch die Kundgebung vor unserem Haus inklusive Namen und Klingelschild. Das Video wurde mittlerweile tausendfach angeklickt und geteilt und mit vielen widerlichen Hasskommentaren versehen. Es ist auf der Facebookseite von ENiE aber auch bei einigen FB-Seiten von Thüringer Kreisverbänden der AfD nach wie vor zu sehen.
Wie sich nun herausstellt, hatte es offenbar keine Auflagen der Ordnungsbehörde der Stadt Erfurt gegeben. So wurde sowohl die Maskierung – man kann sie auch Vermummung nennen – als auch die Kundgebung vor einem Privathaus zugelassen. Ein Abwägungsprozess mit Blick auf die Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten Dritter fand seitens der
Stadt Erfurt nicht statt. Dies war in Bornhagen, dem Heimatort von Höcke (AfD) übrigens anders, wo es jeweils Distanzauflagen für die Veranstalter gab, um die Persönlichkeitsrechte Dritter zu wahren.
Ich habe eine Dringliche Anfrage an den Erfurter Stadtrat gerichtet, die am 5.9.18 auf der Tagesordnung steht, da sich mir sehr viele Fragen stellen. Ich meine, dass dies eine neue Qualität des Protests und der Bedrohung darstellt, wenn engagierte Menschen Kundgebungen maskierter Gruppen unmittelbar vor ihre Haustür bekommen. Ich halte dies für einen
unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre.
Im Nachgang dieser Demonstration erreichte mich/uns viel Unterstützung. Das tut gut. Vielen Dank dafür. Allerdings erreichten mich auch viele Hassbotschaften, anonym, aber auch namentlich unterzeichnet – mit Parteizugehörigkeit, so bspw. von einem Mitglied der AfD aus dem KV Greiz/Altenburg.
Der Staatsschutz und die Kriminalpolizei haben Ermittlungen aufgenommen. Mal sehen, was daraus folgt.
Ich will es allerdings klar und deutlich sagen: Bei aller auch notwendigen Kritik und Auseinandersetzung. Ich werde nicht müde werden, für ein gutes Miteinander und unser Grundgesetz, welches auch die Religionsfreiheit ohne wenn und aber festschreibt, zu streiten. Und ich lasse mich nicht einschüchtern. Niemals.
Lassen Sie uns aufeinander achten – aber auch Ecken und Kanten zeigen.
Ich halte es da mit einer Losung der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland: Nächstenliebe verlangt Klarheit.
Deshalb: Nein zu Ausgrenzung, Rassismus und Diskriminierung!
veröffentlicht am 03.09.2018
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